Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG veröffentlichte jüngst den Beitrag mit dem Titel: “Als Europa vor 60 Jahren zum ersten Mal den Blues hatte, war es begeistert!”

Liebe Stonerinnen und Stoner, liebe Freundinnen und Freunde unserer Homepage,

als Stones-Club haben wir mit großem Interesse einen Beitrag in einer der bekanntesten Schweizer Zeitungen zur Kenntnis genommen, den wir nachstehend zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme auf unsere Homepage gepostet haben.

Als Europa vor 60 Jahren zum ersten Mal den Blues hatte, war es begeistert

Das American Folk Blues Festival weckte die Begeisterung der europäischen Jugend und inspirierte die Gründung der Rolling Stones. Auch in der Schweiz identifizierten sich die Fans mit ihren afroamerikanischen Idolen.

Christoph Wagner                                          

Muddy Waters war einer der frühen Blues-Botschafter in Europa – hier 1963 am American Folk Blues Festival in London. Tony Evans / Getty

1962 hatte Manchester den Blues; und zwar zum ersten Mal. Das lag am American Folk Blues Festival, das hier britische Premiere feierte. Organisiert wurde die Konzert-Revue mit amerikanischen Blues-Musikern allerdings von der deutschen Agentur Lippmann & Rau.

«Zu dieser Veranstaltung war auch eine Gruppe etwa zwanzigjähriger, komisch und wild aussehender junger Leute aus London angereist», erinnerte sich der Konzertmanager Fritz Rau später in seiner Autobiografie. «Sie schafften es, bis zu den Künstlergarderoben der Bluesmusiker vorzudringen, und hingen dann backstage bei ihren Idolen herum.» Unter ebendiesen aufdringlichen Blues-Fans aber fanden sich prompt auch Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones, die noch im gleichen Jahr The Rolling Stones gründen sollten.

Auf der richtigen Seite der Geschichte

Nicht nur in England waren junge Leute vom Blues betört. Überall in Westeuropa wurde die afroamerikanische Musik als ein Stil begriffen, der für Freiheit und Ungezwungenheit stand, dazu eine Lässigkeit und Lockerheit ausstrahlte, wie man sie bis dahin auf dem alten Kontinent nicht kannte.

Für nicht wenige Jugendliche wurde der Blues zum Emblem des Nonkonformismus. Teenager projizierten ihre eskapistischen Sehnsüchte und Phantasien auf die schwarzen Musiker, die als cool galten. Für die Fans artikulierte sich im akustischen, unverstärkten Blues – oft nur auf einer verbeulten Blechgitarre und einer Harmonika gespielt – das einfache, unverstellte Leben jenseits aller Komplexitäten und Ambiguitäten der Gegenwart.

Freiheitlich gesinnte Schüler und Studenten sahen sich selbst als musizierende Hobos und Vagabunden und träumten davon, auf einem Güterzug dem festgezurrten Leben zu entkommen, das die Elterngeneration für sie vorgesehen zu haben schien. Gleichzeitig wurde der Blues als Protest begriffen, mit dem die rassistisch ausgegrenzten Afroamerikaner ihre Identität und Würde bewahrten und sich gegen die weissen Unterdrücker wehrten.

Das machte die Klänge aus dem amerikanischen Süden neben Soul und Gospel zum Soundtrack der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Ein Grund mehr, weshalb der Blues bei Jugendlichen in Europa, die sich als progressiv verstanden, hoch im Kurs stand. Durch den Blues übte man Solidarität mit den geschundenen Afroamerikanern und begab sich auf die richtige Seite der Geschichte.

Der Blues kommt über den Atlantik

Überall in Westeuropa und somit auch in der Schweiz schlugen die Wellen der Begeisterung hoch. Dass sich die Auftritte des American Folk Blues Festival dabei als Zündung und Befeuerung des europäischen Blues-Booms erwiesen, lag daran, dass bei diesen Konzerten erstmals authentische schwarze Bluesmusiker aus den USA live zu hören waren.

Ende September 1962 war es so weit. Eine hochkarätige Truppe, bestehend aus acht Musikern und einer Sängerin, kam über den Atlantik geflogen. Am 4. Oktober 1962 fiel der Startschuss der Tournee. In den Fernsehstudios des Südwestfunks in Baden-Baden wurde ein erster Auftritt mitgeschnitten. Und abends traten die Musiker im grossen Kursaal auf.

 

Jörg Becker                                                                                    Manfred Rinderspacher
Sie prägten das Bild des Bluesmusikers mit: Sonny Terry (links) mit der Blues-Harp und Big Joe Williams mit der akustischen Gitarre (1972).

Schon am nächsten Tag ging es weiter nach Bern, wo die reisende Blues-Revue im «Casino» gastierte, das zwar längst nicht ausverkauft war. «Es war ein einmaliges Ereignis für Bern und eine Novität in der Welt des Jazz», lobte «Der Bund» den Auftritt trotzdem in den höchsten Tönen. «Wer hier ein Wort der Kritik suchte, wäre ein Nörgler.» Nach Stationen in Deutschland kehrte die Gruppe für zwei weitere Konzerte in die Schweiz zurück, um dann in der Basler Mustermesse und im Zürcher Kongresshaus zu gastieren.

Eine deutsche Idee

Das American Folk Blues Festival war die Idee des deutschen Jazz-Papsts Joachim-Ernst Berendt. Sie war ihm während einer Amerikareise gekommen. Im Sommer 1960 hatte er bei Recherchen auf der Southside von Chicago einer Party beigewohnt, bei der etliche Grössen der einheimischen Blues-Szene auftraten. Berendt ging ein Licht auf: Könnte man so etwas nicht auch in Europa machen?

In Deutschland kontaktierte er seinen Bekannten Horst Lippmann von der Frankfurter Konzertagentur Lippmann & Rau, der die Idee zu einem schlüssigen Konzept weiterentwickelte. Lippmann nahm sich dabei die «Jazz at the Philharmonic»-Konzert-Revue als Vorbild, bei der jeweils eine bunte Riege von Jazzsolisten zu hören war.

Er reiste in die USA, um geeignete Musiker zu finden. In Chicago versicherte er sich der Hilfe von Willie Dixon, Kontrabassist, Liedkomponist und Produzent des berühmten Chess-Labels, der alle relevanten Musiker kannte. Dixon liess seine Kontakte spielen und stellte für die Debüt-Tournee ein attraktives Programm zusammen mit vielen bekannten Namen: John Lee Hooker war der Leuchtpunkt der Show, der es drei Jahrzehnte später als alter Mann mit seinen Alben, produziert von Carlos Santana, noch zum Pop-Superstar bringen sollte.

Eine verschworene Szene

Stilistisch schlug das American Folk Blues Festival einen weiten Bogen. Lippmann wollten eine ganze Palette von Blues-Spielarten präsentieren. Mit Fokus auf dem ländlich-akustischen Folk- bzw. Country-Blues kam ebenso die elektrische Variante aus den grossstädtischen Nachtklubs wie der swingende Jazz-Blues zum Zuge.

Ein grundsätzliches Missverständnis galt es zuerst auszuräumen: Mit Blues war nun nicht etwa der sogenannte «Stehblues» gemeint, der an den Tanzschulen unterrichtet worden war, sondern die afroamerikanische Musik, die auf den Baumwollfeldern im Mississippi-Delta entstanden war und auch dem Jazz als Grundlage diente. Eine Zeitung sprach deshalb auch von «folkloristischer Jazzmusik».

Da Blues damals erst durch ein paar wenige Schallplatten präsent war in Europa und noch seltener im Radio gespielt wurde, hatte er den Status einer Geheim-Musik. Und da die Lieder im Slang gehalten und mit Doppeldeutigkeit gespickt waren, hatte das europäische Publikum Mühe, die Songs zu verstehen. Die Texte erzählten das Leben, sie würden nicht mit der Kehle, sondern mit dem Herzen gesungen, konnte man in Fan-Artikeln lesen. Manchmal aber wurden die Lyrics mit Schubert-Liedern oder Eichendorff-Gedichten verglichen, um eine Brücke zu den Bildungsbürgern im Publikum zu schlagen, das anfangs hauptsächlich aus existenzialistisch angehauchten Studenten und Jazzfans bestand.

Die sprachlichen Schwierigkeiten waren mit ein Grund, weshalb sich der Blues vor der Rock-Revolution noch schwertat mit dem breiten Publikum und zunächst als Sound einer verschworenen Szene galt. Trotz den Lobeshymnen übersetzte sich künstlerische Exzellenz nicht automatisch in kommerziellen Erfolg. So führte auch das American Folk Blues Festival im ersten Jahr nicht zu vollen Hallen in der Schweiz – obwohl man bereits das modisch-trendige Jugendmagazin «Twen» als Partner gewonnen hatte.

Das änderte sich allerdings im Jahr darauf. Jetzt war das Zürcher Volkshaus gut besetzt, wobei Zürich 1963 der einzige Auftrittsort der Blues-Karawane in der Schweiz war. Sonst aber führte die Konzertreise bereits durch halb Europa: nach Berlin, Paris, München, Wien, Kopenhagen, Manchester und Stockholm.

Die sogenannte Authentizität

1963 war erstmals auch Muddy Waters mit von der Partie, dessen Titel «Rolling Stone» den Blues-Freunden Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones zu ihrem Bandnamen verholfen hatte. Muddy Waters, der heute als Übervater des Blues gilt, damals aber höchstens in Kennerkreisen bekannt war, liess mit seinem Titel «Hoochie Coochie Man» aufhorchen. Dabei begleitete er seinen eindringlichen Gesang nicht wie sonst auf einer elektrischen, sondern auf einer akustischen Gitarre. Das hatten ihm die Veranstalter abgerungen, um dem Festival-Versprechen eines authentischen «Folk Blues» gerecht zu werden.

Neben Muddy Waters traten weitere Blues-Stilisten ins Rampenlicht. Sonny Boy Williamson brillierte als Zauberer auf der Mundharmonika, der die Blues-Harp wie eine Zigarre in den Mund nahm und trotzdem spielte, während der Gitarrist Lonnie Johnson und der Pianist Otis Spann durch ihre Virtuosität aufhorchen liessen.

 

Tony Evans / Getty                                                 Promo Alligator Records
Regelmässige Gäste am American Folk Blues Festival: Big Joe Williams (links) und Sonny Boy Williamson.

Durch Konzerte, Schallplatteneinspielungen, Rundfunkübertragungen und Fernsehaufnahmen wurde das American Folk Blues Festival zum ersten wichtigen Botschafter des Blues in Europa. Zehn Mal rollte die Blues-Revue mit Stars wie Big Joe Williams oder Sonny Terry zwischen 1962 und 1972 durch Europa (mit einem Aussetzer 1971, dessen Lücke jedoch in Zürich mit einem Chicago Blues Festival gestopft wurde). Regelmässig im Herbst machte das Festival in der Schweiz die Runde, Zürich und Genf wurden zu den fixen Adressen, gelegentlich machte die Blues-Karawane auch in Basel, Bern, Luzern oder Lausanne Station.

Triumphe und Tragödien

Die «Riesenbegeisterung für den Blues» wuchs nun Jahr für Jahr, wie die «Tat» konstatierte. Zu verdanken war das nicht zuletzt dem Erfolg britischer Blues-Rock-Gruppen wie Rolling Stones, Fleetwood Mac oder Cream, in deren Sog die Jünger der Pop-Kultur massenhaft in die Blues-Konzerte geschwemmt wurden. «Auch Hippies fehlten nicht», notierte ein «Tat»-Reporter beim Blick ins Auditorium.

Doch zum Triumph gesellte sich Tragik. Am Tag nach ihrem fulminanten Zürcher Auftritt am American Blues & Gospel Festival (wie es 1970 hiess) erlitt die wegweisende Sängerin und Gitarristin Sister Rosetta Tharpe in Genf, dem nächsten Auftrittsort, einen Schlaganfall, was das Aus für die Tour bedeutete und einen notfallmässigen Rücktransport in die USA erforderte.

Mit der Zeit gab es in Europa immer mehr Blues-Veranstaltungen, die dem American Folk Blues Festival die Exklusivität raubten und ihm damit das Wasser abgruben. Bald konnte man Blues in Jazzklubs, Musikkneipen, Zimmer-Theatern und Rock-Kellern hören – nicht nur in Zürich, Bern, Genf, sondern auch in Thun, Biel, Stans oder Neuenburg.

Der New-Orleans-Pianist Champion Jack Dupree, der seit Ende der 1950er Jahre im nordenglischen Halifax lebte, wurde in den 1960er Jahren zum Stammgast in der Schweiz, wobei der Zürcher Jazzklub «Africana» zeitweise wie Duprees zweites Wohnzimmer anmutete.

Ähnlich Memphis Slim: Der Barrelhouse-Pianist hatte nach seinen ersten Europatourneen mit dem American Folk Blues Festival eine Französin geheiratet und sich im Umland von Paris niedergelassen. Jetzt machte er die Runde durch die Klubs mit regelmässigen Abstechern in die Schweiz.

Bald lag der Blues derart im Trend, dass sich für Konzertveranstalter selbst kostspielige Einzel-Gastspiele mit amerikanischen Spitzengruppen lohnten. Im Januar 1968 zum Beispiel gab der Sänger und Gitarrist B. B. King im Zürcher Kongresshaus seinen Einstand, was nur unterstrich, dass der Blues endgültig in der Schweiz angekommen war und inzwischen auch von eidgenössischen Bands eifrig nachgeahmt wurde. Den Grundstein dafür aber hatte das American Folk Blues Festival gelegt.

                        

                              Chris Ware / Getty
Sister Rosetta Tharpe (1915–1973) begeisterte 1970 in Zürich am American Blues & Gospel Festival. Einen Tag später aber erlitt sie in Genf einen Schlaganfall, so dass sie ihre Tournee abbrechen musste.

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Durch den Klick auf den nachstehenden Link könnt Ihr den kompletten Beitrag direkt auf der Homepage der    lesen.

> https://www.nzz.ch/feuilleton/als-europa-vor-60-jahren-zum-ersten-mal-den-blues-hatte-war-es-begeistert-ld.1751632 !

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Der Redaktion der  kann man nur ein HERZLICHES DANKESCHÖN für diesen hervorragenden Beitrag sagen.

Manni Engelhardt -Stones-Club-Manager-

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Eine Antwort zu Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG veröffentlichte jüngst den Beitrag mit dem Titel: “Als Europa vor 60 Jahren zum ersten Mal den Blues hatte, war es begeistert!”

  1. Denise Hackmann sagt:

    That’s a great article that the NZZ published there. I associate that with the Stones’ song “Confession to the Blues”.
    > https://www.youtube.com/watch?v=QYi7rS93nY0
    I think that sums it up!?!
    Denise Hackmann

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